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  Sinn und Form - Positionen figürlicher Plastik
 
25. August - 03. November2012     Bilderhaus Krämerbrücke, Erfurt
mit Arbeiten von:
Gerhard Marcks
Otto Pankok
Theo Balden
Fritz Cremer
Karl Hartung
Waldemar Grzimek
Gerhard Lichtenfeld
Gerhard Kurt Müller
Wieland Förster
Wilfried Fitzenreiter
Erik Neukirchner
Karl Hartung: Testa II
1965/66, Bronze, H 28 cm
  Ereignisse  
     
  "Ein jedes Kunstwerk muß etwas von den ersten Schöpfungstagen haben..." Hinter diesen Worten von Wilhelm Lehmbruck steht die Rückbesinnung des Bildhauers auf den antiken Schöpfergestus des Prometheus, der aus Lehm und Wasser das Bild des Menschen schuf. Lehmbrucks Werk steht am Anfang der Geschichte der Plastik des 20. Jahrhunderts, die
reich an starken Künstlerpersönlichkeiten mit deutlich unterscheidbaren Werkauffassungen ist, die sich dennoch in weitgefasstem Kreis bestimmten Strömungen zuordnen lassen. Dem Betrachter tritt in unserer Ausstellung in den Figuren von Gerhard Marcks (1889—1976), Otto Pankok (1893—1966), Theo Balden (1904—1995), Fritz Cremer (1906—1993), Karl Hartung (1908—1967), Waldemar Grzimek (1918—1985), Gerhard Lichtenfeld (1921—1978), Gerhard Kurt Müller (*1926), Wieland Förster (*1930), Wilfried Fitzenreiter (1932—2008) und Erik Neukirchner (*1972) das Echo ihrer subjektiven Ergriffenheit und Innerlichkeit in ihrer Suche nach Maß, Dichte und Gestalt entgegen. Die ausgewählten Arbeiten entstanden im Zeitraum der vergangenen 80 Jahre in wechselvoller Historie, im ungeteilten, geteilten und im wiedervereinigten Deutschland. Daß sie in Korrespondenz treten können, bedingt der menschliche und künstlerische Ernst ihrer Gestaltung. Sie bedürfen weder einer Kunstdoktrin noch provokativer Extravaganz, um zu überzeugen. In diesen Arbeiten zeigen Könnerschaft und bildnerischer Instinkt die ihnen zugrunde liegende schöpferische Unbedingtheit, formale Substanz und ästhetische Entscheidung.
Schön im Sinne einer klassischen Ästhetik ist der an die archaische Antike anknüpfende Formenkanon von Gerhard Marcks. Das Werk dieses Bewahrers der Tradition erweist in der Abfolge seiner betont einfach gebauten und von stiller Kraft erfüllten Gestalten den reichen Formwillen des Künstlers, geistige Vornehmheit und gütiges Ideal. 1919 wurde Marcks an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen, 1925 als Bildhauer an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle. Seine Formensprache hat jüngere Bildhauer beeinflußt. Als freundschaftlicher Förderer begleitete er die künstlerischen Anfänge von Waldemar Grzimek, der 1946 sein Lehrnachfolger in Halle wird.
  Die Eigenwilligkeit von Grzimeks Plastiken liegt in der Gleichzeitigkeit einer starken Körperbetonung und Entfaltung einer Gebärde, die in herrlicher Gewichtsabwägung aufschwebt und doch ganz aus der Gebundenheit der Form zur Freiheit ihres Werdens entwickelt wird. Der Formtradition von Marcks, Weidanz und Grzimek folgen in Halle die beiden Bildhauer Gerhard Lichtenfeld und Wilfried Fitzenreiter. Lichtenfeld gewann aus dem Balanceakt zwischen antiker Formendisziplin und leiblicher Vitalität seine formale Klarheit und Konzentration. Die Rückbesinnung auf die römische Antike ist in anderer Weise auch ein Grundzug des Schaffens von Wilfried Fitzenreiter. Er setzte feinsinnig modellierend in seiner künstlerischen Sprache um, was in einer menschlichen Figur Situation, Bedeutung und Gefühl ausdrückt.
Der ästhetischen Perspektive der Moderne "wie die Natur" zu schaffen, an der Grenze zwischen Figuration und Auflösung ins Vegetabile und Amorphe zu arbeiten, haben sich auf unterschiedliche Weise die vornehmlich in Berlin wirkenden Plastiker Theo Balden, Karl Hartung und Wieland Förster verpflichtet. Theo Baldens formende Suche nach morphologischen Analogien, in denen Natur wie Mensch aus der Kunst aufscheinen, bildete sich als Reflex auf die Lehren seiner Bauhauszeit und aus der nachhaltigen Begegnung mit der Moderne im England der 1930/40er Jahre. Aus diesen Erfahrungen schöpfte er die Form und aus der Verbundenheit zum Menschen gewann er das Verhältnis zum Körper und eine Beseelung, die in seinem Werk jeden Ausdruck zu Haltung werden läßt. Zur gleichen Zeit haben in Westberlin die Wege des schöpferischen Denkens von Karl Hartung in der Auseinandersetzung mit der französischen Moderne in eine bewegte, klangerfüllte Welt plastischer Formen geführt, in der naturhafte Gebilde zum Gleichnis für die innere Unermeßlichkeit wurden. Betrachtet man die sensiblen Formlösungen des eine Generation jüngeren Wieland Förster, so erfährt man ein anderes Kunstwollen, in dem innere Spannung und sinnliche wie geistige Präsenz auf die menschliche Gestalt in ihrer Bedrohtheit und Verletzlichkeit bezogen sind. Noch im Torso, im Fragment, sind seine Figuren mit einer starken emotionalen Kraft ausgestattet, die in unverwechselbarer Gestalt das menschliche Maß erfüllt.



  In der vielfältigen Jahrhundertbewegung der expressiven Tradition stehen die skulpturalen Werke der Künstler Otto Pankok, Fritz Cremer und Gerhard Kurt Müller. Einander folgenden Generationen angehörend, entwickelten sich ihre Werke zwischen Ausdruck und Verinnerlichung in Formwerten von Seins- und Wesensbedeutung. Über die Plastiken von Otto Pankok spannt sich der Bogen zurück zum rheinländischen Expressionismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies nicht in Fortschreibung expressionistischer Radikalität, sondern als verwirklichte Form eines in seiner Haltung zum realistischen Menschenbild treuen Künstlers. Seinen Zigeunerfiguren eignet die Bewegung ins Innere einer flammenden Seele durch den erregten Faltenwurf der Gewänder. Fritz Cremer, aus dem Ruhrgebiet kommend, hat die Formensprache seines engagierten Realismus' in Berlin ausgebildet. Markant und von schroffer Kraft, greifen seine Figuren in den Raum, verbinden Innenschau und Vision, Zorn und Aufbegehren. Cremers Figuren tragen die Zeichen der Konflikte zwischen freier Selbstverfügung und selbstgewählter Verantwortung. Aus der gleichen expressiven Tradition, vor allem aus der Beschäftigung mit Ernst Barlach, schöpfte der Leipziger Künstler Gerhard Kurt Müller eine grundlegend andere formale Eigenständigkeit, in der Leibhaftigkeit und Vergeistigung zum Formereignis werden. Die Auseinandersetzung mit den Fragen des menschlichen Seins zwischen Macht und Ohnmacht wie die Verarbeitung seelischer Spannungen sind seine Hauptthemen.

Leidenschaft der Anschauung, Kräfteverdichtung in sich geballter Formen, große Silhouette und eine Hingabe an den Wert des Bewahrens der inneren Welt auch gegen die Zeit versammeln sich im formenden Zugriff des Künstlers. In der Abfolge der Künstlergenerationen kündigt sich mit dem Werk des jungen Chemnitzer Bildhauers Erik Neukirchner eine erneuerte formale Radikalität und Eigenständigkeit figürlicher Plastik an. In seinen ideellen Modulationen taucht eine neue Körperlandschaft auf, eine fast gotische Zartheit, in der selbst die Schreckensfolgen von Krieg und Gewalt eindrucksvoll zu fassen sind. Damit schließt die Betrachtung an den Anfang dieses Exkurses an, an die Metapher für die Unvollendbarkeit menschlichen Handelns und das Fortwähren künstlerischen Schöpfertums.

(Susanne Hebecker, Erfurt)
 
 
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