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"Ein
jedes Kunstwerk muß etwas von den ersten Schöpfungstagen
haben..." Hinter diesen Worten von Wilhelm
Lehmbruck steht die Rückbesinnung des Bildhauers
auf den antiken Schöpfergestus des Prometheus,
der aus Lehm und Wasser das Bild des Menschen schuf.
Lehmbrucks Werk steht am Anfang der Geschichte der Plastik
des 20. Jahrhunderts, die
reich an starken Künstlerpersönlichkeiten
mit deutlich unterscheidbaren Werkauffassungen ist,
die sich dennoch in weitgefasstem Kreis bestimmten Strömungen
zuordnen lassen. Dem Betrachter tritt in unserer Ausstellung
in den Figuren von Gerhard Marcks (1889—1976),
Otto Pankok (1893—1966), Theo Balden (1904—1995),
Fritz Cremer (1906—1993), Karl Hartung (1908—1967),
Waldemar Grzimek (1918—1985), Gerhard Lichtenfeld
(1921—1978), Gerhard Kurt Müller (*1926),
Wieland Förster (*1930), Wilfried Fitzenreiter
(1932—2008) und Erik Neukirchner (*1972) das Echo
ihrer subjektiven Ergriffenheit und Innerlichkeit in
ihrer Suche nach Maß, Dichte und Gestalt entgegen.
Die ausgewählten Arbeiten entstanden im Zeitraum
der vergangenen 80 Jahre in wechselvoller Historie,
im ungeteilten, geteilten und im wiedervereinigten Deutschland.
Daß sie in Korrespondenz treten können, bedingt
der menschliche und künstlerische Ernst ihrer Gestaltung.
Sie bedürfen weder einer Kunstdoktrin noch provokativer
Extravaganz, um zu überzeugen. In diesen Arbeiten
zeigen Könnerschaft und bildnerischer Instinkt
die ihnen zugrunde liegende schöpferische Unbedingtheit,
formale Substanz und ästhetische Entscheidung.
Schön im Sinne einer klassischen Ästhetik
ist der an die archaische Antike anknüpfende Formenkanon
von Gerhard Marcks. Das Werk dieses Bewahrers der Tradition
erweist in der Abfolge seiner betont einfach gebauten
und von stiller Kraft erfüllten Gestalten den reichen
Formwillen des Künstlers, geistige Vornehmheit
und gütiges Ideal. 1919 wurde Marcks an das Staatliche
Bauhaus in Weimar berufen, 1925 als Bildhauer an die
Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle. Seine
Formensprache hat jüngere Bildhauer beeinflußt.
Als freundschaftlicher Förderer begleitete er die
künstlerischen Anfänge von Waldemar Grzimek,
der 1946 sein Lehrnachfolger in Halle wird. |
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Die Eigenwilligkeit von Grzimeks Plastiken liegt in
der Gleichzeitigkeit einer starken Körperbetonung
und Entfaltung einer Gebärde, die in herrlicher
Gewichtsabwägung aufschwebt und doch ganz aus der
Gebundenheit der Form zur Freiheit ihres Werdens entwickelt
wird. Der Formtradition von Marcks, Weidanz und Grzimek
folgen in Halle die beiden Bildhauer Gerhard Lichtenfeld
und Wilfried Fitzenreiter. Lichtenfeld gewann aus dem
Balanceakt zwischen antiker Formendisziplin und leiblicher
Vitalität seine formale Klarheit und Konzentration.
Die Rückbesinnung auf die römische Antike
ist in anderer Weise auch ein Grundzug des Schaffens
von Wilfried Fitzenreiter. Er setzte feinsinnig modellierend
in seiner künstlerischen Sprache um, was in einer
menschlichen Figur Situation, Bedeutung und Gefühl
ausdrückt.
Der ästhetischen Perspektive der Moderne "wie
die Natur" zu schaffen, an der Grenze zwischen
Figuration und Auflösung ins Vegetabile und Amorphe
zu arbeiten, haben sich auf unterschiedliche Weise die
vornehmlich in Berlin wirkenden Plastiker Theo Balden,
Karl Hartung und Wieland Förster verpflichtet.
Theo Baldens formende Suche nach morphologischen Analogien,
in denen Natur wie Mensch aus der Kunst aufscheinen,
bildete sich als Reflex auf die Lehren seiner Bauhauszeit
und aus der nachhaltigen Begegnung mit der Moderne im
England der 1930/40er Jahre. Aus diesen Erfahrungen
schöpfte er die Form und aus der Verbundenheit
zum Menschen gewann er das Verhältnis zum Körper
und eine Beseelung, die in seinem Werk jeden Ausdruck
zu Haltung werden läßt. Zur gleichen Zeit
haben in Westberlin die Wege des schöpferischen
Denkens von Karl Hartung in der Auseinandersetzung mit
der französischen Moderne in eine bewegte, klangerfüllte
Welt plastischer Formen geführt, in der naturhafte
Gebilde zum Gleichnis für die innere Unermeßlichkeit
wurden. Betrachtet man die sensiblen Formlösungen
des eine Generation jüngeren Wieland Förster,
so erfährt man ein anderes Kunstwollen, in dem
innere Spannung und sinnliche wie geistige Präsenz
auf die menschliche Gestalt in ihrer Bedrohtheit und
Verletzlichkeit bezogen sind. Noch im Torso, im Fragment,
sind seine Figuren mit einer starken emotionalen Kraft
ausgestattet, die in unverwechselbarer Gestalt das menschliche
Maß erfüllt.
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In der vielfältigen Jahrhundertbewegung der expressiven
Tradition stehen die skulpturalen Werke der Künstler
Otto Pankok, Fritz Cremer und Gerhard Kurt Müller.
Einander folgenden Generationen angehörend, entwickelten
sich ihre Werke zwischen Ausdruck und Verinnerlichung
in Formwerten von Seins- und Wesensbedeutung. Über
die Plastiken von Otto Pankok spannt sich der Bogen
zurück zum rheinländischen Expressionismus
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies nicht
in Fortschreibung expressionistischer Radikalität,
sondern als verwirklichte Form eines in seiner Haltung
zum realistischen Menschenbild treuen Künstlers.
Seinen Zigeunerfiguren eignet die Bewegung ins Innere
einer flammenden Seele durch den erregten Faltenwurf
der Gewänder. Fritz Cremer, aus dem Ruhrgebiet
kommend, hat die Formensprache seines engagierten Realismus'
in Berlin ausgebildet. Markant und von schroffer Kraft,
greifen seine Figuren in den Raum, verbinden Innenschau
und Vision, Zorn und Aufbegehren. Cremers Figuren tragen
die Zeichen der Konflikte zwischen freier Selbstverfügung
und selbstgewählter Verantwortung. Aus der gleichen
expressiven Tradition, vor allem aus der Beschäftigung
mit Ernst Barlach, schöpfte der Leipziger Künstler
Gerhard Kurt Müller eine grundlegend andere formale
Eigenständigkeit, in der Leibhaftigkeit und Vergeistigung
zum Formereignis werden. Die Auseinandersetzung mit
den Fragen des menschlichen Seins zwischen Macht und
Ohnmacht wie die Verarbeitung seelischer Spannungen
sind seine Hauptthemen.
Leidenschaft der Anschauung, Kräfteverdichtung
in sich geballter Formen, große Silhouette und
eine Hingabe an den Wert des Bewahrens der inneren Welt
auch gegen die Zeit versammeln sich im formenden Zugriff
des Künstlers. In der Abfolge der Künstlergenerationen
kündigt sich mit dem Werk des jungen Chemnitzer
Bildhauers Erik Neukirchner eine erneuerte formale Radikalität
und Eigenständigkeit figürlicher Plastik an.
In seinen ideellen Modulationen taucht eine neue Körperlandschaft
auf, eine fast gotische Zartheit, in der selbst die
Schreckensfolgen von Krieg und Gewalt eindrucksvoll
zu fassen sind. Damit schließt die Betrachtung
an den Anfang dieses Exkurses an, an die Metapher für
die Unvollendbarkeit menschlichen Handelns und das Fortwähren
künstlerischen Schöpfertums.
(Susanne Hebecker, Erfurt) |
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