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"Träum
ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich bei Sinnen?" -
Heinrich von Kleists Fragen, seit dem 200. Todesjahr
des Dramatikers 2011 wieder verstärkt auf deutschen
Bühnen zu hören, rühren an die Fragen
nach innerer Freiheit inmitten von Macht- und Gesellschaftsstrukturen
und an die Spiegelung von Realitätserfahrung in
der Psyche. Uwe Pfeifer, der Maler und Grafiker, ist
den verstörenden Parallelen zum heutigen Lebensgefühl
in den letzten Jahren bildgewaltig und empfindungsgenau
nachgegangen: Tagtraum und Totentanz, Jugend und Alter,
Himmel und Horizont sind die Themen seines künstlerischen
Schaffens. Darin prüft und erweitert er die Kategorie
"Realismus" hinsichtlich ihrer Möglichkeiten
und erweist, daß Figürlichkeit als eines
der Prinzipien der Kunst entgegen aller gemachten Behauptungen
wohl doch nicht veralten kann.
Die Elemente, die sich zu Sinnfiguren in seiner Kunst
fügen, sind Liebe, Natur, Andacht, Anschauung,
Erkenntnis und Hoffnung. Aus ihnen erwächst die
innere Bildvorstellung. Und diese Arbeit der Imagination
ist dem Verstehen immer einen Schritt voraus. So geht
das Geheimnisvolle und Magische, das Uwe Pfeifers Bilder
ausstrahlen, in erster Linie von seinem künstlerischen
Vermögen aus, in einer einzigartigen Ästhetik
die Beseelung eines geistigen Gehalts zu erreichen.
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Das Erblickte in Bildidee umzusetzen hat im Schaffen
Uwe Pfeifers zu Gemälden geführt, in denen
sich die persönliche Poetik in einer verfeinerten
Farbkultur zeigt, die geistige und psychische Bereiche
anspricht, in der der einzelne Pinselstrich zugunsten
der Gesamtwirkung völlig zurückgenommen ist.
Zusammen mit den Lithografien entwickelte sich in grafisch-malerischer
Durchdringung ein thematischer Kanon, durch den die
Elemente der bildnerischen Gestaltung mit einem wachen,
modernen Daseinsverständnis für Mensch und
Natur verschmelzen.
Tagtraum und Totentanz bilden die Pole von Entdeckung
und Verlust der Welt. Als Bildfindungen stehen sie für
die Realität unserer Zeit, ihrer Ängste und
Träume, ihrer Enge und Größe. Der Tagtraum
als Pendant zum Alltag lebt von einer latenten Faszination
für dämonische Zweideutigkeiten, denen sich
auch das Erotische zuordnet. Pfeifer malt diesen lustvoll-schrecklichen
Moment in einer Farbigkeit, die die schrille Dissonanz
von Wirklichkeit und Wunsch hervorhebt. Den Reigen von
Eros und Thanatos führt Pfeifer aus der Tradition
mittelalterlicher Totentanzdarstellungen ins Neonlicht
einer neuzeitlichen Bühne, in die halluzinatorische
Klarheit von Farbe, Form und Sinn. Nicht zufällig
assoziiert das Aufrufen
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dieser symbolhaften Bildmetaphern einen eigenen Weltbegriff,
der auf der Auseinandersetzung mit der Gegensätzlichkeit
und Widersprüchlichkeit des Lebens gründet.
Andere zentrale Motive in Pfeifers Schaffen sind Stadtlandschaft
und Natur. Die lakonische Einsamkeit von Bauruinen,
Erbstücken der Vergangenheit, kontert Pfeifer mit
der zarten romantisierenden Frische jungen Gebüschs,
das die schäbig gewordenen Hüllen überwuchert.
Spuren von Graffiti lassen eine anarchische Dimension
mitschwingen.
Der scheinbar unendliche Bildraum des Gemäldes
"Ostseelicht" steht in einer Reihe von Naturlandschaften
Uwe Pfeifers, die ohne die Präsenz des Menschen
auskommen und doch den Menschen meinen. Das Licht wird
zum Bild der poetischen Gewalt eines inneren Lichtes,
einer Sehnsucht nach dem Horizont, einer faustischen
Begierde nach Tiefe, eines Genusses an Unermesslicheit,
einer Hingabe an kraftvolle elementare Energien. Die
Originalität dieses Bildes liegt nicht im romantischen
Motiv. Vielmehr ist sie aufzuspüren im suchenden
Sehen, das den Blick über die Begrenzung hinausführt
und etwas vom Wesen des Utopischen offenbart. Die meditative
Seite dieser Bildgestaltung rührt an den Erfahrungshorizont
des Menschen, vor dem sich Wahrheit und Erkenntnis erst
im Verlauf enthüllen.
(Susanne Hebecker, Erfurt) |
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