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der Abfolge der Künstlergenerationen kündigt
sich mit dem Werk des Bildhauers Erik Neukirchner eine
neue formale Radikalität und Eigenständigkeit
figürlicher Plastik an. Mit seinen rhythmischen,
ideellen Modulationen taucht eine neue Körperlandschaft
auf, eine fast gotische Zartheit, in der er selbst die
Schreckensfolgen von Krieg und Gewalt eindrucksvoll
zu fassen vermag.
Im Frühjahr 2012 entstand Erik Neukirchners knabenhafter
Ecce homo — zu deutsch: seht, ein Mensch.
Das sagte Pilatus zu den Juden, als er ihnen Christus
zur Hinrichtung übergab. Erik Neukirchner offenbart
die Gestalt eines Jungen, der schutzlos in einer ihn
nicht bergenden Welt nur über die empfindsame Substanz
des verwundeten Leibes verfügt, dessen schrundige
Oberfläche als Übergangszone zwischen Körper
und Umraum wie ein Nimbus aufleuchtet.
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So entsteht eine ideelle Hülle um die Figur, die
ihre Integrität sichert und ihr eine Aura unangreifbarer
Spiritualität verleiht. Im Bildwerk halten sich
gestische Verhaltenheit und expressive Gebärde
die Balance. Die Verunsicherung des aufrechten Standes
durch den leicht aus der Senkrechte genommenen Körper
wird durch die Neigung des Kopfes verstärkt. Die
Blindheit der rechten Gesichtshälfte unterstützt
den Eindruck hingebungsvollen Lauschens - nach Innen
und nach Außen - als eine der verbleibenden Möglichkeiten,
die sinnlichen Kräfte zu gebrauchen. Gleichgewicht
erlangt die Gestalt durch den weggestreckten Arm, dessen
verstümmelte Hand behutsam ihren Umraum erfühlt.
Ihrer Materialität trotzend, liegt in der schwebenden
Vertikalität der Figur eine Tendenz zur Befreiung
aus der Weltgebundenheit, die den Gefühlsgehalt
der Körpersprache berührend steigert. |
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Die Sensibilität der Ausstrahlung einer ohnmächtigen
Stille kann nicht als Schwäche verstanden werden,
sondern als Schutzgeste gegen die zynische Brutalität
einer Kriegsmaschinerie. Hier setzt die Übertragung
in die übergreifende christliche Ecce-homo-Ikonografie
an. Sie greift in der Verdichtung der äußeren
Verletzungen zu einer schützenden Rinde den Ausdruck
der verletzlichen Würde des Menschen auf.
Die Arbeit geht auf den Eindruck eines Fotos von einem
durch Streumunition verwundeten irakischen Kind zurück.
(Susanne Hebecker, Erfurt) |
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